IPF Gebärdensprachpädagogik

30.06.2022

Inclusive Pedagogy Fest (IPF) zum Thema: Gebärdensprachpädagogik.

Zusammenfassung IPF Gebärdensprachpädagogik am 03.06.

Am 03.06.2022 fand von 14-18 Uhr im Rahmen des Inclusive Pedagogy Fest eine Veranstaltung zum Thema Gebärdensprachpädagogik in der Aula am Uni Campus statt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Arbeitsbereich Inklusive Pädagogik des Zentrums für Lehrer*innenbildung der Universität Wien. Über 50 Teilnehmer*innen waren anwesend. Die Veranstaltung wurde von tauben, hörenden und deutschschriftsprachlichen Dolmetscher*innen begleitet. 

Auf die Begrüßung durch Vize-Studienprogrammleiterin der Lehrer*innenbildung Michelle Proyer, Prä-Doktorandin Barbara Hager und Studienassistentin Teresa Trimmel folgte der erste Vortrag von Claudia Becker. Becker ist Leiterin des Bereichs Gebärdensprach- und Audiopädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin und lehrt und forscht auf diesem Gebiet. Becker präsentierte in ihrem Vortrag, wie es zum Begriff der Gebärdensprachpädagogik in Berlin kam. Hierzu wurden drei Perspektiven vorgestellt: die institutionelle, die pädagogische und die professionelle Perspektive.

Auf der institutionellen Ebene wurde ein Überblick über die historische Entwicklung der Institutionen im Zusammenhang mit tauben Schüler*innen gegeben: von den Taubstummeninstituten Ende des 18. Jahrhunderts bis hin zu den Gehörlosenschulen, die es seit einigen Jahrzehnten bis heute gibt. Den Wandel des Begriffes unter der pädagogischen Perspektive skizzierte Becker ausgehend von der Taubstummenpädagogik, sowie Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik, bei welchen der Hörstatus des Kindes zentral ist. Unter anderem aufgrund der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) entwickelte sich dieses Angebot weiter zur heutigen Gebärdensprach- und Audiopädagogik — hier liegt der Fokus auf der Kommunikation der Kinder, mittels Gebärdensprache und Lautsprache, sowie einem breiten pädagogischen Angebot. Auch unter der professionellen Perspektive beschrieb Becker die Entwicklung der Ausbildung — von Taubstummenlehrer*innen-Ausbildungen Ende des 18. Jahrhundert über die Fachdisziplinen Gehörlosen- und Hörgeschädigtenpädagogik bis hin zum heutigen Lehrstuhl der Gebärdensprach- und Audiopädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin. 

Becker thematisierte zudem den Mangel an Lehrpersonen in der Gebärdensprachpädagogik. Sie hält es für sinnvoll, dass taube Menschen die gleiche Lehrkräfteausbildung wie hörende Menschen bekommen, damit sie als voll anerkannte und gut qualifizierte Lehrer*innen im Schulsystem tätig sind. Als Zwischenlösung ist es sinnvoll, auch in der Schule Quereinsteiger*innen einzustellen und z.B. taube Menschen für die Arbeit als Gebärdensprachpädagog*innen bzw. ÖGS-Sprachlehrpersonen zu qualifizieren. Darüber hinaus werden Gebärdensprachpädagog*innen auch für den außerschulischen Bereich dringend benötigt, die ebenfalls ausgebildet werden müssen.

Anschließend berichtete Gottfried Biewer über die Implementierung der Gebärdensprachpädagogik als Vertiefungsmodul im Studium “Spezialisierung Inklusive Pädagogik (Fokus Beeinträchtigungen)” an der Universität Wien. Biewer war durch seine ehemalige Tätigkeit als Vize-Studienprogrammleiter in der Lehrer*innenbildung der Universität Wien maßgeblich an dieser Einbettung beteiligt.

In der oben genannten Studienrichtung gibt es die Möglichkeit, sich zwischen vier alternativen Pflichtmodulen zu entscheiden. Eines dieser verpflichtenden Vertiefungsmodule ist die Gebärdensprachpädagogik. Der Aufbau des Vertiefungsmoduls zur Gebärdensprachpädagogik inklusive der ÖGS-Kurse wurde im Anschluss von Lehrveranstaltungsleiterinnen und Modulverantwortlichen Silvia Kramreiter, Verena Krausneker und Barbara Hager, sowie ÖGS-Sprachlehrerin Barbara Schuster vorgestellt. Sie gaben einen Einblick in die Inhalte der Lehre.

Besonders spannend waren die Erzählungen aus der Praxis von den Gebärdensprachpädagog*innen. Hierzu waren Maria Graupe, Juliana Heigl, Theresa Kramreither, Sarah Leitgeb und Yvonne Schönbauer eingeladen, welche Studierende der Inklusiven Pädagogik sind und bereits an Schulen mit Gebärdensprache arbeiten. Die Studierenden berichteten über Herausforderungen und Chancen der bilingualen, bimodalen Settings und den Zusammenhang von Inhalten im Studium mit der tatsächlichen Praxis.

Um etwa 16 Uhr gab eine halbstündige Pause, in der die Gäste mit Kaffee und Obst versorgt wurden und sich zu den Inhalten austauschen konnten.

Die anschließende Podiumsdiskussion zum Thema “Lehrer*innenmangel in der Gebärdensprachpädagogik” wurde von Michelle Proyer moderiert. Folgende Gäste nahmen daran teil: Ingrid Kluger (Expositurleiterin und Gebärdensprachpädagogin an der AHS Karajangasse ), Silvia Kramreiter (KPH), Martin Martiska (Direktor des Bundesinstitut für Gehörlosenbildung), Claudia Taschner (Expositurleiterin und Gebärdensprachpädagogin an der VS/NMS Pfeilgasse). 

Neben Erläuterungen der momentanen Notsituation an Schulen mit Bedarf an Gebärdensprachpädagog*innen, gab es zahlreiche Überlegungen zur Verbesserung der Situation. Vorschläge zur Veränderung der Ausbildung bzw. zusätzlichen Ausbildungsmöglichkeiten wurden eingebracht. Ebenso wurde darauf hingewiesen, dass Menschen mit einer anderen Erstsprache (ÖGS) der Bildungsabschluss nicht verwehrt werden darf. Mit der Einführung des Unterrichtsfaches ÖGS an österreichischen Schulen ergibt sich zudem die Frage danach, wer dieses Fach unterrichten darf bzw. wird. Frau Beckers Vorschlag zur Qualifizierung von Quereinsteiger*innen wurde diesbezüglich aufgegriffen und diskutiert. Die Möglichkeit, taube ÖGS-Sprachlehrer*innen/Gebärdensprachpädagog*innen für das Fach ÖGS an die Schulen zu holen, wurde diskutiert. Neben dem Fach ÖGS darf jedoch auch die bilingual-bimodale Didaktik im Bereich der Gebärdensprachpädagogik nicht zu kurz kommen. Auch vom Publikum gab es rege Beteiligung an der Diskussion und einige Denkanstöße. Mit der Veranstaltung sollten vor allem Lehramtsstudierende zum Studium der Inklusiven Pädagogik mit der Vertiefung Gebärdensprachpädagogik (inklusive ÖGS-Kurse) und für den Beruf als Gebärdensprachpädagog*in motiviert werden. Wir danken allen Vortragenden und Teilnehmenden für den spannenden und aufschlussreichen Nachmittag!