Dr. Alexander Hoffelner

Pädagogische Improvisation als professionelles Handeln

Betreuung: Barbara Schneider-Taylor †, Ilse Schrittesser, Judith Schoonenboom

Zeitraum: 2018-2023
Kontakt: alexander.hoffelner@univie.ac.at

Unterricht wird von der schulpädagogischen Forschung als äußerst komplexes Geschehen betrachtet, das keinen allgemeingültigen Regeln und Gesetzen folgt. Zudem sind Situationen in pädagogischen Kontexten jeweils einzigartig und pädagogisches Handeln muss sich notwendigerweise auf die Zukunft hin ausrichten, die wiederum nicht vorhersehbar ist (Koller 2009, S. 11–13). Pädagogisches Handeln ist damit konstitutiv von Ungewissheit und Kontingenz geprägt (Helsper 2003; Gruschka 2018; Paseka et al. 2018a).

Wird Unterricht in einem Spannungsfeld von Struktur und Planung auf der einen sowie Offenheit und Ungewissheit auf der anderen Seite betrachtet, so kann festgestellt werden, dass die erste Seite in der Ausbildung von Lehrer*innen, in der pädagogischen Praxis (Helsper 2003, S. 147; Paseka et al. 2018b) und auch in der einschlägigen Literatur für Lehramtsstudierende (DeZutter 2011) schon lange dominiert. Unterrichtsgestaltung ist nach wie vor überwiegend lehrer*innenzentriert und von Routinen und erstarrten Handlungsweisen geprägt (Helsper 2003, S. 147; Gruschka 2018). Das Dissertationsvorhaben will diesem Ungleichgewicht entgegenwirken und die offene Seite von Unterricht fokussieren.

Das vorliegende Forschungsprojekt geht von der Grundthese aus, dass menschlichem Handeln grundsätzlich das Potenzial der Improvisation inhärent ist (Kurt 2012, S. 165). Unter Pädagogischer Improvisation werden Handlungen von Pädagog*innen verstanden, die ein gleichzeitiges Entscheiden und Handeln erfordern, also nicht vorab geplant werden können bzw. konnten (Ben-Horin 2016, S. 3). Handlungstheoretisch gesprochen sind Improvisationen von Unmittelbarkeit, Prozesshaftigkeit, Responsivität und Ungeplantheit geprägt (nach Lösel 2013, S. 46).

Damit verbindet sich die Frage, welche Rolle Improvisation im Handeln von Lehrer*innen spielt, wie Lehrer*innen improvisieren und wie die Pädagogische Improvisation im Rahmen professionellen pädagogischen Handelns konzipiert werden kann. Daraus ergibt sich folgende Forschungsfrage:

Wie kann Pädagogische Improvisation im Hinblick auf die Strukturmerkmale professionellen Handelns sowie im Rahmen eines schüler*innenorientierten Unterrichts konzipiert werden?

Methodisch soll die Frage durch Analyse und Systematisierung der bestehenden Literatur auf der einen Seite sowie einen empirischen Zugang auf der anderen Seite beantwortet werden. Der Fokus der empirischen Forschung liegt dabei auf der Frage, wie Lehrer*innen im Unterricht improvisieren. Die Datengenerierung erfolgt im Sinne eines ethnographischen Zugangs (Breidenstein et al. 2020). Dazu wird an verschiedenen Schulen in Wien teilnehmend beobachtet und diese Beobachtungen protokolliert sowie andere Formen von Daten (Transkripte von Interviews, Fragebögen, Gedankenprotokolle informeller Gespräche, Fotos, Unterrichtsplanungen,…) generiert, die im Rahmen der Grounded Theory nach Kathy Charmaz (2014) ausgewertet werden.

Das Ziel des Forschungsvorhabens ist es, Improvisation als wesentliches Merkmal professionellen pädagogischen Handelns zu konzipieren, wobei die enge Verschränkung von Theorie und Empirie im Zuge der ethnographischen bzw. der Herangehensweise der Grounded Theory ein differenziertes und vielschichtiges Bild der Improvisation von Lehrer*innen zeichnen lassen soll.


Literaturverzeichnis

Ben-Horin, Oded (2016): Towards a professionalization of pedagogical improvisation in teacher education. In: Cogent Education 3 (1), S. 1–17.

Breidenstein, Georg; Hirschauer, Stefan; Kalthoff, Herbert; Nieswand, Boris (2020): Ethnografie. Die Praxis der Feldforschung. 3. Auflage. Konstanz, München: UVK Verlagsgesellschaft mbH; UVK/Lucius (UTB Sozialwissenschaften, Kulturwissenschaften, 3979).

Charmaz, Kathy (2014): Constructing Grounded Theory. 2. Auflage. Los Angeles: Sage. DeZutter, Stacy (2011): Professional Improvisation and Teacher Education: Opening the Conversation. In: R. Keith Sawyer (Hg.): Structure and Improvisation in Creative Teaching. 1. Auflage. New York: Cambridge University Press, S. 27–50.

Gruschka, Andreas (2018): Ungewissheit, der innere Feind für unterrichtliches Handeln. In: Angelika Paseka, Manuela Keller-Schneider und Arno Combe (Hg.): Ungewissheit als Herausforderung für pädagogisches Handeln. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 15–29.

Helsper, Werner (2003): Ungewissheit im Lehrerhandeln als Aufgabe der Lehrerbildung. In: Werner Helsper, Reinhard Hörster und Jochen Kade (Hg.): Ungewissheit. Pädagogische Felder im Modernisierungsprozess. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, S. 142–161.

Koller, Hans-Christoph (2009): Grundbegriffe, Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft. Eine Einführung. 4. Aufl. Stuttgart: W. Kohlhammer (Kohlhammer-Urban-Taschenbücher).

Kurt, Ronald (2012): Improvisation als Grundbegriff, Gegenstand und Methode der Soziologie. In: Udo Göttlich und Ronald Kurt (Hg.): Kreativität und Improvisation. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 165–186.

Lösel, Gunter (2013): Das Spiel mit dem Chaos. Zur Performativität des Improvisationstheaters. Bielefeld: Transcript.

Paseka, Angelika; Keller-Schneider, Manuela; Combe, Arno (2018a): Einleitung. In: Angelika Paseka, Manuela Keller-Schneider und Arno Combe (Hg.): Ungewissheit als Herausforderung für pädagogisches Handeln. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 1–12.

Paseka, Angelika; Keller-Schneider, Manuela; Combe, Arno (Hg.) (2018b): Ungewissheit als Herausforderung für pädagogisches Handeln. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.